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Oktober 2003. Gegen 23.30 Uhr fahre ich nach einem sehr schönen
Abend mit meiner Freizeitgruppe nach Hause.
Ich fahre 120 auf der rechten Spur einer zweispurigen Autobahn.
Eine Auffahrt. Im Augenwinkel registriere ich einen Pkw, der wie
ein Magnet auf mich zukommt. Die ersten Meter der Auffahrt. Durchgezogene
Linie. Er kommt immer näher, fährt schon über die
durchgezogene Linie. Mir wird klar, noch ein Stück und wir
kollidieren. Ab da kein Denken mehr.
Ich sehe in den Spiegel. Niemand hinter mir. Ich will die Spur wechseln.
Befinde mich in der Mitte der zwei Spuren. Dann ich habe
das Gefühl, es passiert im selben Moment - wir stoßen
nicht zusammen nur um Haaresbreite dann doch ein Stoß
woher kommt der ich werde nach vorn geschleudert
ein Aufprall ich beginne mich zu drehen versuche noch
zu bremsen, gegenzulenken macht keinen Sinn. Irgendwas in
mir läßt plötzlich alles los. Ich habe das Lenkrad
noch in der Hand, aber innerlich alles losgelassen. Es geschieht
alles nur noch. Der Wagen dreht sich weiter, stößt mit
der linken vorderen Seite gegen die Mittelleitplanke, dreht sich
weiter, rechte vordere Seite ich höre es krachen, das
Geräusch, wie sich das Blech eindrückt, wie was zersplittert.
Der Wagen dreht sich komplette rechte Seite gegen die Planke
- weiter. Der Wagen dreht sich weiter. Ich mich aber nicht. In mir
ist alles stehengeblieben. Ich höre die Geräusche noch.
Aber sie haben nichts mit mir zu tun. Eine Lichtspur geht durch
mich durch. Wie bei einem Scanner. Horizontal läuft durch mich
eine Lichtspur. Sie läuft oben vom Kopf aus ganz langsam durch
meinen Körper. Alles noch in Ordnung. Mir tut nichts weh. Alles
noch in Ordnung. Nichts tut weh. Die Worte laufen mit dem Licht
durch mich durch. Irgendwo weiß ich, alles ist ok. Keine Angst.
Kein Schrecken. Kein Film, der abläuft. Nichts. Einfach nur
dieses Geschehen. Wie ein Beobachten. Ein unbeteiligtes Beobachten.
Alles nur Sekunden, die Zeit ist für mich stehengeblieben.
Nein, nicht stehengeblieben es gibt sie gar nicht in dem
Moment.
Irgendwann bleibe ich auf der rechten Standspur der Autobahn stehen.
Irgendwie von allein. Ich sitze da. Ich sitze einfach da. Mehr nicht.
Immer noch alles in Ordnung. Vielleicht würde ich heute noch
dasitzen, wenn mich nicht plötzlich jemand durch das rechte
Seitenfenster angesehen und gerufen hätte, daß ich die
Beifahrertür aufmachen soll. Neblig. Watte. Ab da ist alles
in Watte getaucht - mitsamt mir. Die Worte des Mannes hören
sich komisch an, sehr weit weg, wollen mich aus der Watte ziehen,
ich will nicht raus, ich bleibe drin - doch ich verstehe ihn und
klettere langsam aus dem Wagen. Er redet weiter, bietet mir eine
Zigarette an. Ich rauche. Ich rauche einfach. Erst in dem Augenblick
als ich mein Auto registriere, bewußt sehe, sehe, wie es aussieht,
bricht etwas innerlich zusammen in mir. Mein Auto. Zwei Jahre alt,
kein Kratzer dran ...
Der Mann vom ADAC wünscht mir noch einen schönen Abend,
nachdem er mein Auto auf den Sattelschlepper geladen hat. Totalschaden.
Die nächsten Wochen sind mit Nebel auswattiert. Sie dringen
nur wenig zu mir durch. Oder ich zu ihnen. Die Veränderungen,
die sie mit sich bringen, sind immens. Ja, es stehen und standen
auch vorher schon Entscheidungen an, Veränderungen an.
Nach ungefähr 6 Wochen, ich liege zu Hause auf der Couch, bin
immer noch krank geschrieben und in Wattewölkchen gepackt,
bemerke ich wieder dieses Gefühl in mir. Diesmal ist es sehr
intensiv. Traurig. Dunkel. Schwer. Ich sehe eine traurige, dunkle
Gestalt in mir. Wie ein menschliches Wesen. Es schleppt einen großen,
schweren Sack halb auf dem Rücken, halb hinter sich her. Ich
weiß sofort: In dem Sack sind die ganzen Gefühle, die
mit dem Unfall zu tun haben. Da fällt mir ein, das erste Mal,
daß ich seit dem Unfall noch nicht einmal geweint habe. Nichts
davon verarbeitet habe. Nicht um mein Auto getrauert habe. Diese
Gestalt hat die ganze Geschichte und die Gefühle in dem Sack
und ist dabei, sie in mein Unterbewußtsein zu schleppen. Und
dann ist sie erst mal weg mitsamt dem Sack. Nicht mehr dranzukommen.
Zumindest nicht so leicht. Nein, schreit da irgendwas in mir. Das
will ich nicht. - Auch das geschieht einfach so. Ohne Denken. Ich
gehe einfach mit dem, was sich mir zeigt. - Ich will nicht, daß
die Gestalt weggeht. Ich will nicht, daß sie traurig ist.
Erst stell ich mir vor, daß ich zu ihr hingehe, nachher ist
es keine Vorstellung mehr, es ist real für mich. Ich habe den
starken Drang, die Gestalt einfach in den Arm zu nehmen und zu trösten.
Ich mach es einfach. Ich gehe hin und nehme sie in den Arm. Es ist
ein so starkes Gefühl, ich fühle die Traurigkeit, den
Schmerz, die Angst und ich weiß, daß es meine Traurigkeit,
mein Schmerz, meine Angst meine Angst zu sterben - ist. Ich
weine. Sehr tief. Es wird ganz hell auf einmal. Ein unbeschreibliches
Gefühl breitet sich immer mehr in mir aus. Alles ist ganz hell,
weich, warm. Eine Art Geborgenheit. Eine innere Gewißheit,
daß alles gut ist. All das Traurige, Leidvolle löst sich
auf. Wird immer kleiner. Ich verschmelze mit dieser Gestalt und
sie verschmilzt mit mir. Wir sind wieder eins. Die Gestalt und all
die Gefühle haben sich aufgelöst. Einfach so in
dieser Umarmung. Ich weine immer noch. Aber auch das Weinen hat
sich verändert es fühlt sich erlöst an.
Ich habe meine Ausbildung als Physiotherapeutin abgebrochen, bin
immer noch krank geschrieben, kein Auto mehr, keine Freizeitgruppe
mehr, auch die hat sich aufgelöst - was übrigbleibt ist
viel Zeit zum Überlegen.
Ich habe immer noch Schmerzen durch das Schleuder-Trauma. Mein Bekannter,
er ist Heilpraktiker und Dozent, erzählt mir von der Dorn-Breuß-
Methode. Ich mache einen Termin.
Diese Massage wird zu einem richtungsweisenden Erlebnis für
mich. Nach 1 ½ Stunden verlasse ich die Praxis mit einem
Lächeln im Gesicht. Ich gehe, ach was, ich fliege fast, schwebe
ein paar Zentimenter über der Grasnarbe, nach Hause. Wenn mir
das jemand vorher erzählt hätte, hätte ich es wahrscheinlich
nicht geglaubt ich habe absolut keinerlei Schmerzen mehr,
kann den Kopf wieder sehr weit in beide Richtungen bewegen. Die
Schmerzen bleiben verschwunden. Ich bin begeistert.
Das will ich lernen!
Genau das tue ich auch.
Drei Monate später - ich möchte noch mehr lernen, andere
Massagetechniken lernen - schiebt mir derselbe Bekannte (mit dem
wissenden Blick) eine Zeitschrift über den Tisch mit aufgeschlagener
Seite: Hara Awareness® Massage. Als ich den Text
gelesen habe, steht fest, was ich die nächsten Monate machen
werde.
Plötzlich öffnen sich Türen. Ich mache mich nach
den Massageausbildungen selbständig, bekomme gleich, quasi
beim ersten Anlauf, auf Anfrage ein Angebot für eine Massagepraxis
in einem Freizeitschwimmbad und ... lerne dabei für's Leben.

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